„Stoische“ Liebe
Natürlich ist die Philosophie als „Liebe zur Weisheit“ auch für die wichtigste menschliche Emotion, die Liebe zuständig. Aber vermag es die stoische Philosophie auch hier, richtige Antworten zu geben? Unter Liebe stellen wir uns doch eher „Schmetterlinge im Bauch“ vor, eine „stoische“ Liebe klingt ziemlich unpassend. Stimmt das?
Wir sollten hier zunächst eine Definitionsfrage klären, nämlich den Zustand des „Verliebtseins“ von der langen, echten Liebe eines ganzen Lebens unterscheiden:
Das Verliebtsein hat irrationale, manische und unter psychopathologischen Aspekten fast krankhafte Züge: die geliebte Person erscheint als dauerndes Sinnbild unseres Begehrens, wir können ohne sie nicht sein, sie stellt sich in unseren Augen unkritisch als perfekt dar; in der Folge können unsere Gefühle in Eifersucht und Verlustängste umschlagen, wir fordern dann ständig Liebesbeweise, fühlen uns zurückgesetzt, wenn wir diese Rückversicherung nicht erhalten- erste Spannungen entstehen ….
Eines ist klar, der Zustand des Verliebtseins kann niemals ewig andauern, im Allgemeinen endet er nach ein bis drei Jahren.
Die lange, echte Liebe basiert dagegen eher auf Werten wie Freundschaft und Sympathie, gemeinsamen Interessen, Respekt, Wertschätzung- aber auch auf Vernunft. Und spätestens hier sind wir beim Stoizismus angelangt, er verlangte von uns in der Hauptsache ja, ein Leben in Einklang mit der Natur und der Vernunft, dem „Logos“ zu führen und wir sollen in der Folge unser Schicksal akzeptieren. Das heißt aber nicht, dass wir uns einfach den nächstbesten Partner suchen sollen und das Zusammensein dann als schicksalhaft annehmen sollen. Vielmehr sollen wir mit dem stoischen Training unserer Vorstellungen bewirken, auch auf dem Gebiet der Liebe zu einem glücklichen Leben zu gelangen:
Umgang mit Gefühlen
Der Stoizismus legt großen Wert auf die Gleichmäßigkeit der Gefühle, sie sollen sich möglichst um einen Mittelwert herumbewegen. Dies geht auf die mesotes- Lehre von Aristoteles zurück, nach der die mittlere Position/der Mittelweg zwischen Übermaß und Mangel immer das Optimale darstellt. Wir haben das ja auch schon bei den „negativen“ Gefühlen wie zum Beispiel der Trauer gehört; wir dürfen sie zulassen und erleben, aber wir sollen sie doch zeitlich begrenzen. Ähnlich würde ich es mit dem „verliebt sein“ ansehen: wir dürfen es genießen, sollten uns aber vor Augen halten, dass es nicht ewig anhalten wird und daher beizeiten versuchen, es loszulassen und auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen. Viele Menschen verwechseln das Ende des Verliebtseins mit dem Ende der Liebe- obwohl es vielleicht erst der Anfang wäre…
Es kann aber auch sein, dass das anfängliche Verliebtsein übertüncht, dass die Partner einfach nicht zusammenpassen und daher gar nicht zur echten und langen Liebe fähig sind….
„Vernünftige“ Partnerwahl
Auch wenn es sich unromantisch anhören mag, so ist es bei der Partnerwahl wahrscheinlich die entscheidende Voraussetzung für eine lange Liebe, sich einen Partner auszuwählen, mit dem eine maximale Übereinstimmung in weiten Bereichen besteht. Der hohe Grad an gleichen Interessen ermöglicht Sympathie und Freundschaft, beides Garanten für eine lange Liebe. Entscheidend hierfür ist sicherlich die innere Übereinstimmung bei den Werten wie zum Beispiel bei Glaubensfragen, politischer Grundeinstellung, Fragen des Geschmacks (z.B. Design, aber auch Essen und Trinken …) Aber auch äußere Dinge können die Wertschätzung füreinander fördern wie Einkommen, Bildung und Herkunft, gleiche Sprache etc..
Hier gilt also, dass gleiche Interessen eine lange Liebe möglich machen; Gegensätze machen es der Liebe schwer, es kommt auf die lange Sicht zu oft zu Streit und Meinungsverschiedenheiten.
Im Stadium der Partnerwahl ist es also eindeutig vernünftig, einem Partner mit hoher Übereinstimmung zu sich selbst auszusuchen.
Polarität in der Partnerschaft
Das Sprichwort „Gegensätze ziehen sich an“ hat durchaus eine Berechtigung- aber eben nicht für die Partnerwahl- sondern für das spätere Stadium der Partnerschaft.
Damit die Liebe insbesondere in einer langen Partnerschaft Bestand haben kann, ist es wichtig, dass eine gewisse Spannung und Dynamik erhalten bleibt. Diese Polarität zwischen Anspannung und Entspannung ist typisch für unsere Welt und unser menschliches Leben und damit natürlich auch für die Liebe.
Aber woher kommt dann die Polarität, wenn wir uns einen Partner ausgesucht haben, der mit uns gut übereinstimmt? Zum einen ist eine komplette eine Übereinstimmung zwischen zwei Menschen gar nicht möglich, es existieren immer gewisse Unterschiede. Zum anderen beruht eine gute Partnerschaft nicht nur auf der guten Beziehung der Partner untereinander, sondern auch der Partner zu sich selbst. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass wir andere Menschen umso besser lieben können, je mehr wir uns selbst lieben- oder mit anderen Worten, je mehr wir in uns selbst ruhen.
Und wann ist das der Fall? Z.B. dann, wenn wir uns mit Hilfe der stoischen Übungen die Seelenruhe erreichen und uns dabei autonom und frei fühlen. Die echte, lange partnerschaftliche Liebe kommt genau dann zur Geltung, wenn wir ganz bei uns aber auch ganz beim Partner sind. Dieser Wechsel zwischen ganz bei sich und bei dem anderen zu sein entspricht dem Prinzip der Polarität, und genau das hält die Spannung für eine lange Liebe aufrecht. Das setzt wie beim Philosophieren dauerndes Training voraus; auch die lange, echte Liebe ist kein Selbstläufer, sondern die Partner müssen daran zeitlebens arbeiten.
Zusammenfassung:
Der Zustand des „Verliebtseins“ ist ein sehr schönes Gefühl. Es sollte uns aber klar sein, dass es immer zeitlich begrenzt ist und wir irgendwann davon Abschied nehmen müssen. Das Verliebtsein ist keine zwingende Voraussetzung für eine beständige, lebenslange Liebe; im (seltenen) Idealfall geht es in die lebenslange Liebe über; ansonsten kann das Verliebtsein aber auch unseren vernünftigen Blick vernebeln, wenn wir einen Partner wählen, der garnicht zu uns passt.
Daher sollte die Liebe auch „vernünftig“ sein:
Zum einen dürfen wir die positiven Gefühle des Verliebtseins genießen, wir sollten uns aber beizeiten mit unserem Verstand klarmachen, dass sie begrenzt sind.
Zum anderen sollten wir den Partner wählen, der nach vernünftigen Kriterien eine lebenslange Liebe und Freundschaft wahr werden lässt.
Schließlich führt uns die Anwendung des Stoizismus dazu, dass wir in uns ruhen, uns selbst genügen und uns selbst lieben; damit schaffen wir erst die entscheidende Voraussetzung, auch den Partner lieben zu können; aus der Selbstliebe und der Liebe zum Partner entsteht die Polarität, die die notwendige Spannung in eine lange Liebe bringt.